Maler der Reitpferde König Ludwigs II. und erster Illustrator von Johanna Spyri
Der Beginn der Heidi-Ikonographie in Europa
Zwei Monate nach Erscheinen der Erstausgabe von Heidi, am 23. Februar 1880, wandte sich Johanna Spyri in einem Brief an den Kunstmaler Friedrich Wilhelm Pfeiffer mit der Bitte, ob er die Aufgabe übernehmen wolle, ihre Bücher «Aus Nah und Fern», «Heimatlos» und «Heidi´s Lehr- und Wanderjahre» erstmals zu illustrieren. Diese Anfrage ist der Beginn einer der interessantesten Allianzen zwischen Kunst- und Literaturgeschichte.
Spyri, die anfänglich mit großer Zurückhaltung in die literarische Welt trat, gewann mit Pfeiffer einen hochkarätigen Künstler, der es verstand, die Wünsche und Anregungen der Autorin kongenial umzusetzen. Im Gegensatz zu späteren Illustrationen, sind Pfeiffers Holzstichillustrationen wohltuend unpathetisch. Pfeiffer war nicht nur als Maler, sondern aufgrund seiner brillanten Zeichentechnik auch als Buchillustrator gefragt. Er illustrierte 1871 für den Friedrich Andreas Perthes Verlag in Gotha auch das berühmte Fabelbuch «Fünfzig Fabeln für Kinder» des Theologen Wilhelm Hey (1789–1854). Auch von dieser Publikation sind sämtliche Entwürfe des Künstlers erhalten geblieben.
«Durch Herrn Fr: Andr: Perthes in Gotha weiß ich, daß er Sie angefragt hat, ob Sie es übernehmen wollten, die Erzählungen: „Heimatlos’ Aus Nah u. Fern u. Heidis’ Lehr un. Wanderjahre“ zu illustriren. Sollte es nun in Ihrem Willen liegen, die Sache auszuführen, was mich sehr freuen würde, da ich Ihre Bilder zu den O. Speckterchen Fabeln kenne, so möchte ich Sie bitten, mir die Erlaubniß zu einem kurzen Besuch bei Ihnen zu geben, indem ich als Verfasserin den Wunsch hätte, mich einmal mit Ihnen zu besprechen vorher, wenn es Ihnen nicht unangenehm ist.»
Johanna Spyri an F. W. Pfeiffer, 23. Februar 1880
Im April 1880 schickt Pfeiffer seine ersten Entwürfe nach Zürich und Gotha – darunter die ersten Darstellungen von Heidi. Das erste Mal erhält die Romanfigur eine zeichnerische Gestalt. Es ist der Beginn der Illustrationsgeschichte von Heidi und deren Ikonographie, die nachweislich von Johanna Spyri von Anbeginn mit beeinflusst wurde. Pfeiffers Bildvorschläge schärften den Blick der Autorin und ihre Sichtweise auf ihre Figuren und eigenen Geschichten. Sie bot sogar an, sämtliche Geschichten zusammenzufassen.
Die Dokumente
Die Originalentwürfe des Künstlers und die dazugehörigen Briefe der Autorin sind einzigartige Schlüsseldokumente der Illustrationsgeschichte, die im direkten Zusammenhang mit Spyris kinderliterarischem Frühwerk stehen. Insgesamt haben sich 21 Zeichnungen und acht Andrucke von F. W. Pfeiffer und vier Briefe von Johanna Spyri erhalten. Wie durch ein Wunder haben sie nicht nur zwei Weltkriege überlebt, sondern sie wechselten auch mehrmals die Besitzer, wurden gar dem Bayerischen Staat zum Kauf angeboten, bis sie den Weg in eine Privatsammlung fanden und schließlich ins Heidiseum.
Die vier Originalbriefe gehören zu den seltenen Selbstzeugnissen, in denen sich Spyri ausdrücklich als Autorin äußerst. In ihrer Gesamtheit offenbaren sie die anfänglich schwierige Annäherung zwischen Künstler und Autorin, wie es bei solchen anspruchsvollen Arbeitsbeziehungen oft anzutreffen ist. Pfeiffer erlaubte sich künstlerische Allüren, die Spyri zurückwies. Ihre Briefe zeugen von einer klaren Vorstellung darüber, wie ihre Figuren in Größe, Eigenheit und Haltung auszusehen hatten. Aus der Geschichte Heidi wählte Pfeiffer passende Szenen aus den Kapiteln III („Auf der Weide“), VII („Fräulein Rottenmeier hat einen unruhigen Tag“) und XIII („Am Sommerabend die Alm hinan“).
Es ist keineswegs eine höfliche Floskel, wenn Spyri betont, dass die «Sache» sie «bis auf das letzte Pünktchen» interessiere. Die Illustrationen sollten nach Meinung der Autorin die Erzähltexte so begleiten, dass Bild und Text gleichberechtigt nebeneinander stehen. Spyri wünschte ausnahmslos realistische Abbildungen, selbst kleinste Unrichtigkeiten stellte Spyri zur Diskussion und forderte Bildkorrekturen. Alle Unrichtigkeiten auf den Bildern «würden unsere Kinder gleich sehn», und müssten «entschieden fort». Unermüdlich versucht sie durch genaue Anmerkungen ihre Vorstellungen und Ideen zu vermitteln. Sie lobt, verwirft und korrigiert Pfeiffer, um am Ende wieder versöhnlichere Töne anzuschlagen: Sie möchte keines der Bilder «vermissen», ganz im Gegenteil, sie «hätte ihrer gern noch mehrere.» Auch ihren Verleger Emil Perthes setzt sie zeitglich in Kenntnis ihrer Kritik, was einen direkten Briefvergleich besonders reizvoll macht.